Hus

Hus
I
Hus
 
Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts - besonders unter dem Eindruck des großen Abendländischen Schismas - begann sich eine tief greifende Missstimmung gegen die Kirche und ihre Repräsentanten breit zu machen, die sich vor allem gegen die immer hemmungsloser betriebene Abgabenpolitik der päpstlichen Kurie, aber auch ganz allgemein gegen die zunehmende Verweltlichung und sittliche Verwahrlosung großer Teile des Klerus wandte. Je deutlicher die Missstände zutage traten, desto mehr stieß die Kirche auf Kritik und Ablehnung, wobei seit dem Ende des 14. Jahrhunderts sich vor allem Böhmen zu einem Zentrum der oppositionellen Strömungen entwickelte. Hier wurden die allgemeinen Spannungen durch nationale und soziale Gegensätze zwischen Tschechen und Deutschen, die meist die höheren Stellen innerhalb des Klerus innehatten, noch zusätzlich verschärft, wobei vor allem die Prager Universität zum Austragungsort dieser Auseinandersetzungen wurde. Zum Sprachrohr der theologischen Kritik wie auch der nationalen und sozialen Ressentiments machte sich der Magister Johannes (Jan) Hus, der seit 1398 an der Prager Universität lehrte. Dabei griff er weitgehend auf das Gedankengut des englischen Reformators John Wyclif (etwa 1320-1384) zurück, indem er die Kirche aufforderte, zum Idealbild einer in apostolischer Armut lebenden Urkirche zurückzukehren und sich ihren eigentlichen Aufgaben, der Predigt und der Verkündigung der Heiligen Schrift, zu widmen. Während Hus sich zunächst noch im Wesentlichen auf Reformforderungen beschränkte, wurden seine Angriffe gegen Papst und Kircheninstitutionen in der Folgezeit immer radikaler, um dann in seiner 1413 erschienenen Schrift »De ecclesia« (»Von der Kirche«) darin zu gipfeln, dass er der Kirchentradition jede Autorität, die nicht ausdrücklich durch die Heilige Schrift belegt war, absprach. Obwohl Johannes XXIII. bereits im Jahre 1410 den Kirchenbann über ihn verhängt hatte und obwohl er 1412 auch Prag verlassen musste, blieb die Anziehungskraft seiner Lehren, die er mit großer Leidenschaft in seinen Predigten in tschechischer Sprache vortrug, bei weiten Kreisen seiner Landsleute ungebrochen.
 
Nachdem König Sigmund ihm freies Geleit gewährt hatte, entschloss sich Hus im Jahre 1414, seine Lehren vor dem Konstanzer Konzil persönlich zu verantworten. Seine Hoffnung auf eine gelehrte Disputation vor der Konzilsöffentlichkeit ging jedoch nicht in Erfüllung; gegen den bald nach seiner Ankunft in Konstanz Festgenommenen wurde vielmehr ein förmlicher Ketzerprozess eröffnet, der mit seiner Verurteilung und Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen endete (6. Juli 1415).
 
Die Nachricht von seinem Tode löste in Böhmen eine ungeheure religiöse und nationale Erregung aus, die sich, als König Sigmund nach dem Tode Wenzels sein Erbe als König von Böhmen antreten wollte, zum offenen Krieg ausweitete. In mehreren Schlachten blieben die hussitischen Heere Sieger, bis dann auf diplomatischem Wege ein Ausgleich gefunden wurde (Prager Kompaktaten von 1433, Iglauer Kompaktaten von 1436), der gegen die Anerkennung Sigmunds als König von Böhmen den Hussiten einige religiöse Zugeständnisse (Gewährung des Laienkelches) einräumte.
 
II
Hụs,
 
Jan, deutsch Johannes Hụß, tschechischer Theologe und Reformator, * Husinetz (bei Prachatitz) um 1370 (?), ✝ (verbrannt) Konstanz 6. 7. 1415; ab 1390 Studium in Prag, 1400 Priesterweihe; Prediger und Universitätslehrer in Prag; Beichtvater am Hof von König Wenzel IV.; Vertreter der Gedanken J. Wycliffes (Autorität des Gewissens, Kritik am weltlichen Besitz der Kirche), dessen Werke an der Prager Universität seit 1390 in Umlauf waren und breite Zustimmung fanden. Durch eine Bulle Alexanders V. (1410) kam es in Prag zum Kampf gegen die Anhänger Wycliffes, zu Bücherverbrennungen, Predigtverbot und Bann über Hus (1411), der jedoch, von König und Volk gestützt, seine gegen die Ablass- und Kreuzzugsbulle von Johannes XXIII. gerichtete Predigttätigkeit bis 1412 fortsetzen konnte, als sich die Prager theologische Fakultät gegen ihn erklärte. 1414 stellte sich Hus dem Konstanzer Konzil. Trotz eines Geleitversprechens König Siegmunds wurde er festgenommen, erhielt aber Gelegenheit zu öffentlicher Verteidigung. Er lehnte es ab, eine Lehrautorität des Konzils anzuerkennen, sofern es nicht mit den Aussagen der Bibel übereinstimme, und verweigerte den Widerruf der am 4. 5. 1415 verurteilten und von ihm in der Schrift »De ecclesia« (1413) vertretenen Lehre (die Kirche ist die unhierarch. Versammlung der Prädestinierten, die allein Christus zu ihrem Haupt hat). Er wurde schließlich ohne Geständnis verurteilt und verbrannt. - Die politische Leistung von Hus ist die kirchlich-nationale Verselbstständigung der Tschechen, die von ihm auch kulturell fundiert wurde, indem er an der Tschechisierung der Universität Prag mitwirkte. Hus schuf eine einheitliche tschechische Schriftsprache und begründete durch seine Schriften eine nationale Literatur. - Seit dem 19. Jahrhundert wird sein Todestag in seinem Geburtsort jährlich mit einer Gedenkfeier begangen. In der katholischen Kirche greift seit Mitte der 1990er-Jahre eine neue Sicht auf Hus Platz. 1996 nahm der Prager Erzbischof M. Vlk als erster offizieller Vertreter der katholischen Kirche an der Hus-Gedenkfeier teil und sprach sich in einer Rede für seine Rehabilitierung durch die Kirche aus. Papst Johannes Paul II. hob anlässlich des internationalen Hus-Symposions 1999 in Rom (Lateran-Universität) in seinem Grußwort die Bedeutung von Hus für das tschechische Volk hervor und sprach sein tiefes Bedauern über den Hus zugefügten grausamen Tod aus.
 
Ausgaben: Opera omnia, herausgegeben von J. Eršil u. a., auf zahlreiche Bände berechnet (1959 ff.); Opera omnia, herausgegeben von V. Flajšhans, 3 Bände (Neuausgabe 1966).
 
 
P. de Vooght: L'hérésie de Jean Huss (Löwen 1960);
 R. Friedenthal: Ketzer u. Rebell. J. H. u. das Jh. der Revolutionskriege (21972);
 G. Wehr: J. H. Ketzer u. Reformator (1979);
 E. Werner: J. H. Welt u. Umwelt eines Prager Frühreformators (1991);
 
Jan H. - zw. Zeiten, Völkern, Konfessionen, hg. v. F. Seibt u. a. (1996);
 P. Hilsch: J. H. (um 1370-1415). Prediger Gottes u. Ketzer (1999).
 

Universal-Lexikon. 2012.

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